Mit »La Nativité du Seigneur« begründete der junge Olivier Messiaen im Jahr 1935 seinen Ruhm als bedeutendster Orgelkomponist des 20. Jahrhunderts. Der Zyklus ist eine Symbiose aus christlicher Mystik und musikalischer Avantgarde, eine fremdartige, berührende Weihnachtsmusik, die nichts Sentimentales an sich hat. Auratische, ferne Sphären erklingen in Messiaens Komposition, der eigene Tonskalen und eine besondere Metrik einsetzt. Ein quasi kosmisches Hörerlebnis stellt sich ein, Raum und Zeit sind aufgehoben. In Kapitel mit thematischen Überschriften ist Olivier Messiaens Zyklus unterteilt. Doch so wenig Messiaen seine Musik illustrativ verstand, so wenig liegt Illustratives in der Schaffensweise des Malers Johann P. Reuter, der sich malerisch immer wieder mit den großen Werken Messiaens auseinandergesetzt hat. Sein Erleben von Musik führt ihn unweigerlich zu Farben und Strukturen, zu individuellen Farbwelten. Dass auch Messiaen bestimmte Klänge mit Farben verband, macht eine geistige Verwandtschaft zwischen den Künstlern aus.

Schon vor 30 Jahren hat Reuter zu »La Nativité du Seigneur« einen Bilderzyklus geschaffen. Waren es damals dunkle Zeichen, skripturale und geometrische Elemente vor rötlich-braunen wolkigen Hintergründen schwebend, so hat sich bei der aktuellen dritten Version die Farbpalette radikal verändert: er nutzt nun Kontraste von rot, blau und gelb, strahlende Farben und leuchtende Flächen, die dem freudigen und festlichen Anlass einer Weihnachtsmusik entgegenkommen. Den neun Sätzen der Komposition folgend, gibt es neun Bilder. Wie auf einer imaginären Notenlineatur bewegen sich die Bildtafeln auf und ab und fangen so etwas von dem Rhythmus der Musik ein und vom An- und Abschwellen der Lautstärke. Die unterschiedlichen Tafelformate sind um eine große Mitteltafel symmetrisch angeordnet. Dieses goldene T-Kreuz in seiner ruhigen prachtvollen Erscheinung bildet den ruhenden Pol und Höhepunkt des Ensembles.

Die Formate ordnen sich beidseitig der Kreuzform spiegelbildlich, jedoch die Farbräume der Bildtafeln variieren. Die gegenüberliegenden Bildpaare nehmen zwar aufeinander Bezug, behalten aber ihre Eigenständigkeit, so wie die Sätze der Komposition selbständige Einheiten bilden und zugleich einen gemeinsamen Werkcharakter tragen. Messiaen hat die »Nativité du Seigneur« in unterschiedlich charakterisierte Kapitel differenziert, doch verharren alle in einem Bereich der Entrücktheit und rufen eine losgelöste Gestimmtheit hervor.
Durch den Maler wurde die flüchtige Wirkung der Klänge in Materie transformiert, – Leinwand, Öl, Acryl und Gold, – das Vergängliche hat einen Halt gefunden in handfesten Materialien. Dabei ist es Reuter gelungen, trotzdem das Schwebende und Verschwimmende der Musik zu erhalten und in assoziativer Freiheit das Heitere und Beglückende der Komposition in seinen Bildern aufscheinen zu lassen.
Claudia Breinl

… Reuters Zugang zu Messiaen ist nicht analytisch, sondern frei, subjektiv und interpretierend. Der Maler überträgt weder die Farb-Ton-Analogien noch individuelle Kompositionsprinzipien Messiaens auf die Leinwand. Vielmehr handelt es sich bei den Arbeiten um eine Form assoziativer Malerei, die dem einen Medium nicht die Strukturprinzipien des anderen aufzwingt.
Die Malerei folgt ihren eigenen, genuinen Gestaltungsmitteln und kann gerade darum ein „Zusammenspiel“ beider Medien ermöglichen. Ganz in diesem Sinne postulierte Theodor W. Adorno bereits 1965: „Die Künste konvergieren nur, wo jede ihr immanentes Prinzip rein verfolgt.“ …
Dr. Susanne Kolter