Membra Jesu Nostri

Bildfolge bestehend aus sieben zweiteiligen Arbeiten nach den gleichnamigen Passionskantaten von Dietrich Buxtehude (seit März 2017 im Besitz der Philippus Kirche Mannheim)

Versenkung in die Mysterien der Passion

Im Jahr 1680 komponierte Dietrich Buxtehude, Organist an der Marienkirche zu Lübeck, eine ungewöhnliche Passionsmusik: Sieben Kantaten vereinigen meditative Betrachtungen über die Gliedmaßen des leidenden Jesus Christus. Buxtehude widmete die Membra Jesu Nostri seinem „verehrten Freund Gustav Düben“, dem Hofkapellmeister des schwedischen Königs. In der deutschen Kirche in Stockholm, die gleichzeitig auch Hofkirche war, ist das Werk vermutlich zum ersten Mal erklungen. Noch heute ergreift dieses musikalische Gebet, dessen Text auf ein gereimtes Passionsgebet des Zisterziensermönchs Arnulf von Löwen aus dem 13. Jahrhundert zurückgeht, in seiner tiefreligiösen Stimmung die Zuhörer unmittelbar.

Dramatische Kämpfe in Gold

Darmstädter Echo | Kulturszene | Sa. 15. 4, 2014

AUSSTELLUNG
Malerei zur Passion: Werke von Johann P. Reuter in der Darmstädter Galerie C.Klein

DARMSTADT. Eigentlich ist es Farb- und Strukturmalerei, was man mit dem in Guntersblum und Darmstadt lebenden Künstler verbindet. Diesmal jedoch überrascht und überzeugt er mit einer Fußnote zum großen Korpus christlicher Malerei.

„Innigkeit, die ihren Ausdruck findet“, kommentiert die Galeristin Christiane Klein die zentrale Arbeit ihres Künstlers, eine Gruppe von sieben Diptychen. Doch alles Misstrauen, man habe es womöglich nur mit einer frommen Werbefloskel zu tun, ist unbegründet. Johann P. Reuters „Membra Jesu Nostri“ – ein Bildzyklus nach den gleichnamigen Passionskantaten des Barockkomponisten Dietrich Buxtehude – ist wirklich ein erstaunliches Werk. Als „Sonate“ kündigt sich jeweils die linke, schmälere Hälfte der hochformatigen Leinwandpaare an, dominiert vom Goldgrund. In der Malerei des Mittelalters eine selbstverständliche Farbe, ist Gold in der heutigen Kunst eine heikle Zutat, von der schon mancher sich zu Preziös-Kitschigem hat verführen lassen. Nicht so Johann P. Reuter. Bei ihm spannt sich die Goldhaut, von Spachtelhieben zerschnitten, fleckig, schrundig, zerkratzt, mit partiell freigelegter Gewebestruktur. Und vor allem bedroht von schwadig-schwarzer Ölfarbe, die vom Bildrand nach innen drängt. Bevor es triumphieren darf, hat dieses Gold also dramatische Kämpfe zu durchstehen.

Mehr Macht noch entfaltet das Schwarz auf den größeren Hälften der Doppeltafeln. Aus seinem finsteren Sog schimmert, nun mit dem Silbergrau und dem unscharfen Umriss einer spukhaften Erscheinung, sieben Mal ein anderer Bildgegenstand hervor: von den Füßen, den knochigen Knien und der durchnagelten Hand des Kruzifixus über Flanke, Brustkorb, Herz bis zu seinem Haupt. Hierin folgt Reuter der Progression der Buxtehudeschen Kantaten, mit denen er, seit vielen Jahren Sänger im Chor der Katharinenkirche Oppenheim und der Darmstädter Kantorei, gut vertraut ist. Je geringer, je fragmentarischer der vorgeführte Körperteil ist, desto tiefer geht tatsächlich die angesprochene Innigkeit. Selbst ein Nichtgläubiger dürfte spüren, dass hier ein Zeitgenosse mit seinen Mitteln noch einmal ernsthaft um die Bedeutung eines 2000 Jahre zurückliegenden Ereignisses ringt. Wobei es eben weniger der frontal-überproportional dargestellte Kopf Christi ist, was am stärksten in uns nachhallt, sondern die wie in der Pathologie isolierten Gliedmaßen. Womit Johann P. Reuter die Messlatte hoch gehängt hätte für den Rest der Ausstellung. Auch Olivier Messiaen, dem die „Vingt regards sur l’enfant Jesus“ gewidmet sind, zählt zu seinen Lieblingskomponisten. Doch der Block aus zwanzig Quadrattäfelchen, deren jedes farblich, technisch, reliefhaft verschieden auftritt, wirkt so bunt gewürfelt, dass am Ende nur ein Parforceceritt quer durch die Möglichkeiten abstrakter Malerei herauskommt. Was für ein kompetenter Farb- und Strukturenmaler er geworden ist, führt Reuter erst mit Arbeiten auf Papier im Wohnraum der Galerie vor. In Mischtechnik von Acryl-, Gouachefar­ben und Kreide produziert er Blätter, die malerischen Schichtauftrag mit zeichnerischen Streumustern á la Cy Twombly verbinden. Auch darin wohnt die nötige Portion Ernst. Entwickelt freilich mit so viel Lebendigkeit, dass es die Augen noch auf Trab halten wird, wenn die Passionswochen längst vorüber sind.

Dr. Roland Held